Wer ein Geschäft führt und Mitarbeiter beschäftigt, hat eine große Verantwortung gegenüber seinen Angestellten. Denn verliert ein Mitarbeiter durch eine betriebsbedingte Kündigung seinen Arbeitsplatz, verliert er auch seine finanzielle Lebensgrundlage. Eine betriebsbedingte Entlassung ist immer von einer betriebswirtschaftlichen Entscheidung getragen und nicht von der Entscheidung des Mitarbeiters, das Unternehmen zu verlassen. Aber um einen wirtschaftlich rentablen Betrieb zu führen, und damit die anderen Arbeitsplätze zu sichern, ist der Stellenabbau in der Praxis manchmal notwendig und gerechtfertigt.
Hat ein Unternehmer diesen Entschluss gefasst und ist sich über die Konsequenzen im Klaren, muss bestimmt werden, welcher Mitarbeiter das Unternehmen verlässt. Bei der betriebsbedingten Kündigung ist der Unternehmer hier keineswegs frei in seiner Entscheidung, sondern an sehr konkrete Vorgaben bei der Sozialauswahl hinsichtlich der zu kündigenden Mitarbeiter gebunden.
An dieser Stelle möchten wir einen kurzen Überblick darüber geben. Aufgrund der Komplexität des Themas und Vielfalt an Möglichkeiten möchten wir jedoch empfehlen, im Falle einer betriebsbedingten Kündigung einen Anwalt zu Rate zu ziehen. Wir stehen Ihnen als Rechtsanwälte für Arbeitsrecht in unserer Kanzlei in Dresden und online gern mit unserer Expertise hilfreich zur Seite.

Betriebsbedingten Kündigung: Die Sozialauswahl

Bei der Sozialauswahl im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung sind Mitarbeiter in vergleichbaren Positionen hinsichtlich sozialer Kriterien zu bewerten. Damit soll von Seiten des Gesetzgebers verhindert werden, dass ein Arbeitnehmer willkürlich Mitarbeiter unter dem Deckmantel der betriebsbedingten Kündigung entlässt. Die Sozialauswahl ist gesetzlich durch das Kündigungsschutzgesetz geregelt. Wird sie nicht oder fehlerhaft durchgeführt, ist die Kündigung rechtlich unwirksam!

Schritt 1: Auswahl der vergleichbaren Mitarbeiter

Zunächst werden die „vergleichbaren“ Mitarbeiter bestimmt.
Dabei werden alle Mitarbeiter in Gruppen eingeteilt. Diese werden anhand ähnlicher Tätigkeiten und derselben Hierarchieebene gebildet. Aus dieser Gruppe vergleichbarer Mitarbeiter kann der Arbeitgeber die Arbeitnehmer herausnehmen, die für eine Kündigung nicht in Frage kommen. Dafür müssen diese aufgrund ihrer Kenntnisse oder ihrer Fähigkeiten und Leistungen von überragender Bedeutung für den Betrieb sein. Ihre Weiterbeschäftigung liegt im besonderen betrieblichen Interesse. Diese Wichtigkeit für den Betrieb ist vom Unternehmer im Streitfall anhand objektiver Anhaltspunkte nachzuweisen.

Gibt es keine vergleichbare Position im Unternehmen, die mit der (einzigen) gestrichenen Stelle vergleichbar ist, fehlt die notwendige Vergleichsgruppe. In diesem Ausnahmefall wäre eine Kündigung gegebenenfalls ohne weitere Sozialauswahl rechtswirksam.

Beispielfall

Der Chef des Autohauses Müller möchte seine Gebrauchtwagensparte schließen und sich ganz auf den rentableren Verkauf von Neuwagen spezialisieren.

Wenn die Abteilung „Verkauf Gebrauchtwagen“ geschlossen wird, dann sind die Mitarbeiter aus diesem Bereich im Zweifel mit denjenigen aus dem Bereich „Verkauf Neuwagen“ vergleichbar. Denn von ihren jeweiligen Kenntnissen könnten alle diese Mitarbeiter auch die jeweilige andere Tätigkeit ohne größere Einarbeitungszeiten ausüben.
Die Mitarbeiter aus dem Marketing oder der Buchhaltung sind hingegen nicht vergleichbar.

Schritt 2: Beachtung der Kriterien der Sozialauswahl

Unter den in der Gruppe der vergleichbaren Beschäftigten verbliebenen vergleichbaren Arbeitnehmern wird im Anschluss eine sogenannte Sozialauswahl durchgeführt. Das bedeutet, dass alle diese Arbeitnehmer nach vier gesetzlich vorgegebene Kriterien bewertet werden:

  • Lebensalter des Arbeitnehmers
  • Dauer der Betriebszugehörigkeit
  • Unterhaltsverpflichtungen
  • etwaige Schwerbehinderung

Um eine Vergleichbarkeit zu erreichen, werden diese Kriterien in der Praxis in einem Punktesystem gewichtet.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seinen Urteilen diverse Punkteschemata akzeptiert, deren Auswahl einen entscheidenden Effekt auf das Ergebnis der Sozialauswahl hat.

Beispielfall zur Sozialauswahl bei der Betrieblichen Kündigung

Unternehmer Müller will eine Sozialauswahl durchführen. Er hat drei Mitarbeiter mit vergleichbaren Positionen identifiziert: Herr Meral ist 37 Jahre alt und seit 7 Jahren im Unternehmen, verheiratet, aber kinderlos. Herr Maier ist ebenfalls 37 Jahre alt, aber erst seit 5 Jahren im Unternehmen. Er ist alleinerziehender Vater von zwei Kindern. Beide arbeiten im Bereich Gebrauchtwagen. Frau Maasberg ist 40 Jahre alt, Verkäuferin von Neuwagen, seit einem Jahr im Unternehmen, verheiratet und hat ein schulpflichtiges Kind.

Schritt 3: Auswahl und Anwendung des Punkteschemas


Die Rechtsprechung gibt den Unternehmern bei der Auswahl des Punkteschemas zur Sozialauswahl etwas Freiraum. So kann man beispielsweise das Lebensalter mit 1 Punkt bewertet werden und die Betriebszugehörigkeit mit 0,5 Punkten pro Jahr der Zugehörigkeit – oder auch umgekehrt. Das hängt davon ab, welches Kriterium der Unternehmer stärker gewichten möchte. Dies kann es dem Unternehmer gegebenenfalls ermöglichen, einen bestimmten Mitarbeiter gezielt zu kündigen – oder sozial schutzbedürftigere Mitarbeiter vor einer Entlassung zu bewahren. Anhand der Bewertung unseres Beispiels nach zwei verschiedenen Modellen möchten wir die unterschiedlichen Ergebnisse der Bewertung der sozialen Kriterien veranschaulichen:

Beispiel 1: Punkteschema zur sozialen Auswahl von 1990

Punkteschema aus dem Urteil AZR 357/89 des BAG von 1990
Alter:1 Punkt pro vollendetem Lebensjahr
(maximal 55 Punkte)
Betriebszugehörigkeit:1 Punkt pro vollendetem Jahr der Betriebszugehörigkeit bis 10 Dienstjahre,
ab dem 11. Dienstjahr 2 Punkte pro vollendetem Jahr der Betriebszugehörigkeit (maximal 70 Punkte)
Unterhaltspflichten:4 Punkte je unterhaltsberechtigtem Kind
8 Punkte für unterhaltsberechtigten Ehegatten
Schwerbehinderung5 Punkte bei einem Grad der Schwerbehinderung von 50%
über 50% jeweils 1 Punkt für 10%
Beispielrechnung zur Sozialauswahl I

Nach dem vorliegenden Schema würde Frau Maasberg, obwohl sie erst seit einem Jahr im Unternehmen ist, mit 53 Punkten den höchsten Wert erreichen (40+1+4+8) und damit nach den Kriterien der Sozialauswahl den größten Schutz benötigen.
Herr Meral erreicht durch seine Ehe und die längere Beschäftigung im Unternehmen einen Punktwert von 52 (37+7+8).
Damit liegt er in seiner Schutzwürdigkeit noch von Herr Maier, der trotz des gleichen Alters und der Unterhaltspflicht für zwei Kinder nur einen Punktwert von 50 erreicht.
Unternehmer Müller könnte die Kündigung von Herrn Maier durch die Auswahl dieses Punkteschemas sozial rechtfertigen.

Dieses Beispiel zeigt, dass die Sozialauswahl nach einem Punktesystem die Besonderheiten des Einzelfalls nicht immer abzubilden vermag.
Herr Maier als alleinerziehender Vater ist vermutlich schutzbedürftiger als Herr Meral, der als Kinderloser mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben dürfte. Will Herr Müller also dieses Ergebnis vermeiden, so muss er ein anderes Punkteschema wählen.

Beispiel 2: Punkteschema von zur sozialen Auswahl von 2002

Punkteschema aus dem Urteil 2 AZR 697/01 des BAG von 2002
Alter:1 Punkt pro vollendetem Lebensjahr
(maximal 55 Punkte)
Betriebszugehörigkeit:1 Punkt pro vollendetem Jahr der Betriebszugehörigkeit bis 10 Dienstjahre,
ab dem 11. Dienstjahr 2 Punkte pro vollendetem Jahr der Betriebszugehörigkeit (maximal 70 Punkte)
Unterhaltspflichten:4 Punkte je unterhaltsberechtigtem Kind
8 Punkte für unterhaltsberechtigten Ehegatten
Schwerbehinderung5 Punkte bei einem Grad der Schwerbehinderung von 50%
über 50% jeweils 1 Punkt für 10%

Beispielrechnung zur Sozialauswahl II

Im Gegensatz zum vorherigen Beispiel erreicht hier Herr Maier mit 34 die höchste Punktzahl und gilt damit am Schutzwürdigsten (12+10+12). Herr Meral erreicht 32 Punkte (12+14+6).
Die geringste Punktzahl ergibt sich für Frau Maasberg, die erst seit einem Jahr im Unternehmen beschäftigt ist und nur 29 Punkte erreicht (15+2+12).
Sie wäre somit nach dieser Berechnung die Mitarbeiterin, die Müller kündigen könnte.

Unser Beispiel zeigt, dass die Auswahl des Schemas zur Sozialauswahl viele Optionen bietet – aber damit auch einige Stolpersteine. Zu unseren Leistungen als Dresdner Kanzlei mit dem Fokus auf Arbeitsrecht gehört die Beratung und Unterstützung bei der rechtssicheren Sozialauswahl.

Berücksichtigung der Altersstruktur bei der Sozialauswahl

Wie sich anhand der vier Kriterien erkennen lässt, haben ältere Mitarbeiter einen nur schwer aufzuholenden Vorteil gegenüber jüngeren Mitarbeitern. Durch die Punkte fürs Lebensalter und die gegebenenfalls noch hinzukommende lange Betriebszugehörigkeit erreichen sie Punktwerte, die gerade junge und ledige Mitarbeiter nicht erreichen können. Gerade bei etwas größeren Unternehmen ist daher die Möglichkeit der Altersgruppenbildung zu berücksichtigen. Damit das Unternehmen durch betrieblich bedingte Kündigungen nicht alle jungen Mitarbeiter im Unternehmen verliert, ermöglicht die Rechtsprechung die Bildung von sogenannten Altersgruppen.
Dafür werden die Mitarbeiter des Betriebes in verschiedenen Altersgruppen zusammengefasst. In diesen Altersgruppen findet dann jeweils die Auswahl statt. Das Unternehmen kann so sein betriebliches Interesse schützen und eine ausgewogene Altersstruktur beibehalten.

Beispiel zur Einteilung in Gruppen

Gruppe der bis 20-Jährigen, von 21 bis 30 Jahre, 31 bis 40 Jahre, 41 bis 50 Jahre, 51 bis 60 Jahre, ab 60 Jahre.

Im Anschluss wird geprüft, wie viele Beschäftigte quotal welcher Gruppe zuzuordnen sind.
Fallen etwa 30 von 100 Beschäftigten in die Gruppe 31 bis 40 ergibt dies 30 %.
40 von 100 Beschäftigten unterfallen der Gruppe 51 bis 60 = 40 %, aber nur 10 Beschäftigte unterfallen der Gruppe 21 bis 30 = 10 %.
Müssen nun 10 Mitarbeiter gekündigt werden, können 3 Mitarbeiter der Gruppe 31 bis 40, 4 Mitarbeiter der Gruppe 51 bis 60 und nur 1 Mitarbeiter der Gruppe 21 bis 30 gekündigt werden.

Die betriebsbedingte Kündigung bietet mithin viele Gestaltungsmöglichkeiten für Arbeitgeber, kann aber auch schwerwiegende Folgen haben. Im gerichtlichen Streitfall muss nachgewiesen werden, dass eine ordnungsgemäße unternehmerische Entscheidung getroffen wurde. Darüber hinaus darf kein freier Beschäftigungsplatz zur Verfügung steht, die vergleichbaren Mitarbeiter müssen zutreffend bestimmt und die Sozialauswahl ordnungsgemäß durchgeführt worden sein.
Hieran scheitert es in der Praxis häufig. Insbesondere dann, wenn der Anwalt für Arbeitsrecht erst nach erfolgte Kündigung konsultiert wird – nachdem dem Unternehmer die Kündigungsschutzklage ins Haus geflattert ist.
Für alle Unternehmer gilt daher: Kontaktieren Sie uns, bevor Sie eine betriebsbedingte Kündigung aussprechen. Unsere Fachanwälte für Arbeitsrecht finden gemeinsam mit Ihnen eine unternehmensspezifische Lösung, die zu ihren Zielen passt. Die Förderung des präventiven und durchdachten Handelns, auch im Hinblick auf die wirtschaftlichen Belange unserer Mandanten, gehört zu unserer Unternehmensphilosophie.

Gekündigte Arbeitnehmer haben durch die vielfältigen Fehler, die Unternehmer bei einer betrieblich bedingten Entlassung machen, gute Chancen die Kündigung für unwirksam erklären zu lassen und eine Abfindung oder Weiterbeschäftigung vorm Arbeitsgericht zu erstreiten.
Für alle Arbeitnehmer gilt: Lassen Sie sich nach einer erhaltenen Kündigung anwaltlich beraten. Unsere Kanzlei in Dresden prüft die erhaltene Kündigung auf formelle und inhaltliche Fehler und informiert Sie transparent über mögliche nächste Schritte.

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