Das Bundesverfassungsgericht hat ein für allemal klargestellt, dass es auch im einstweiligen Rechtschutz einer Anhörung der Gegenseite bedarf.

Der Spiegel veröffentlichte im Jahr 2019 ein Interview auf seiner Internetseite, der sich mit der Kritik an Kreuzfahrten befasste. Darin wurde auch der Name der Firma erwähnt, die später die Unterlassungsverfügung gegen den Spiegel beantragte.

Im Presserecht spielt Geschwindigkeit eine wichtige Rolle. Es kann bei einer Veröffentlichung zu massiven Persönlichkeitsrechtsverletzungen kommen oder Unwahrheiten rasend schnell durch das Internet verbreitet werden.

Um dem gerecht zu werden, ergehen im Pressrecht viele Entscheidungen im einstweiligen Rechtschutz. Das heißt, dass man bei Dringlichkeit der Sache bereits vor der Entscheidung durch das Gericht einen wirksamen Schutz erlangen kann. Da sich Gerichtsverfahren oft eine lange Zeit ziehen können und in diesem Zeitraum oft irreversible Schäden für den Kläger entstehen können, hat dieser die Möglichkeit in einem „beschleunigten Verfahren“ zu klagen.

Die Kreuzfahrtreederei mahnte den Spiegel ab und forderte die Abgabe einer Unterlassungserklärung. Der Spiegel zeigte sich davon jedoch wenig beeindruckt und wies die Abmahnung zurück. Daraufhin stellte die Reederei beim Landgericht Hamburg einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung, der den gleichen Tenor wie die vorherige Unterlassungserklärung auswies. Das Gericht wies das Gesuch zurück, da die Anträge keine Aussicht auf Erfolg hätten. Die Reederei besserte nach und stellte einen erneuten Antrag. Auch dieser wurde zurückgewiesen. Daraufhin wurde das OLG Hamburg angerufen. Das OLG gab zu verstehen, dass es nur eine mögliche Antragsformulierung gebe. Mithin diktierte das Gericht den richtigen Antrag vor. Die Reederei formulierte seinen Antrag nach der Ansicht des OLG um. Überraschend gab das OLG dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung nun statt. Das Besondere daran war jedoch, dass der Spiegel von dem ganzen Hin- und Her zwischen Reederei und Gerichts nichts mitbekam und sich nur zu der ursprünglichen Abmahnung geäußert hatte. Zu der geänderte Forderung konnte sich der Spiegel jedoch nicht äußern.

Der Spiegel rief das Bundesverfassungsgericht an und rügte die Verletzung der prozessualen Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG.

In der ständigen Rechtsprechung des BVerfG ist es seit 2018 Usus, der Gegenseite die Möglichkeit zur Anhörung zu geben, um das Recht auf Gehör und prozessuale Waffengleichheit zu gewährleisten. Das BVerfG gab dem Spiegel recht. Es wurde dem Verlag verwehrt sich gegen die neuen Vorwürfe zu positionieren was ein dessen Recht auf prozessuale Waffengleichheit widersprach.

So weit so unspektakulär. Das BVerfG nahm es sich jedoch nicht, einen Seitenhieb gegen das OLG Hamburg zu senden. Da man offensichtlich gegen die ständige Rechtsprechung des BVerfG verstoßen habe, wurde das OLG auf die rechtliche Bindungswirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen (vgl. § 31 Abs. 1 BVerfGG).

Sprich: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden. Dass es die Bindungswirkung gibt, ist jedem so klar wie in etwa, dass man nach einer roten Karte das Fußballfeld verlassen muss.

Weiterhin wurde dem OLG nahegelegt, dass bei weiteren derartigen Verstößen „die Kammer ein Feststellungsinteresse für eine Verfassungsbeschwerde oder einen Antrag auf einstweilige Anordnung gemäß § 32 BVerfGG stets als gegeben ansehen wird“. Das bedeutet, dass jede weitere Missachtung der prozessualen Waffengleichheit des OLG Hamburgs zu einer automatischen Wiederholungsgefahr führen wird. Ein echter Gewinn für die Verlage.

Selten konnte man einen solche Verärgerung des BVerfG beobachten.

BVerfG – Urteil vom 01.12.2021 – 1 BvR 2708/19

Herr Rechtsanwalt Lauf, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Zudem Rechtsanwalt für Wirtschaftsrecht und Erbrecht

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